Gebet eines Streuner-Katzenkindes (Verfasser unbekannt)
Lieber Gott,
warum nur hast Du uns erschaffen? Wozu sind wir auf der Welt?
Niemand mag uns und niemand will uns haben. Allen sind wir nur ein Dorn im Auge und den ganzen Tag sind wir nur damit beschäftigt, um unser kleines Leben zu kämpfen, so kümmerlich es auch sein mag.
In Scheunen erblicken wir das Licht der Welt, hinter Heuballen, unter Holzstapeln, in Garagen oder finsteren Kellerlöchern. Unsere Eltern sind frei lebende Bauernhofkatzen, die bestenfalls geduldet, jedoch fast nie gut versorgt und schon gar nicht kastriert werden. Das kostet ja nur unnötiges Geld … und Geld, das haben wir in unserem jungen Leben schon gelernt, sind wir Katzen schon gar nicht wert.
Was soll nur aus mir werden?
Wie viele meiner älteren Geschwister sind noch am Leben?
Sie werden ertränkt, erschlagen, vergiftet, bei lebendigem Leib im Misthaufen vergraben, überfahren oder einfach irgendwo ausgesetzt. Welches Schicksal wird wohl mir bevorstehen, sobald ich alt genug bin, um Mamas weiches Nest zu verlassen und vorsichtig meine ersten tapsigen Schritte in die große Welt der Menschen mache?
Vielleicht entkomme ich aber auch meinen Häschern und schaffe es, erwachsen zu werden. Doch was dann? Als eine weitere ungeliebte verwilderte Bauernhofkatze werde ich wie meine Vorfahren zweimal im Jahr genauso ungeliebte Junge zur Welt bringen, die auf die gleiche brutale Art und Weise getötet werden oder neuen Nachwuchs in die Welt setzen … Nachwuchs, der auch nur wieder zum Sterben verdammt ist. Es ist eine Spirale des Grauens.
Freilich, es gibt auch Katzenkinder, die nicht im Freien, sondern in einer Familie zur Welt kommen. Doch auch diese sind meist unerwünscht und viele von ihnen werden jedes Jahr umgebracht, ausgesetzt oder, wenn sie Glück haben, im Tierheim abgegeben.
Was meinst Du, lieber Gott, wie lange ein kleines Kätzchen ganz allein auf weiter Flur überleben kann? Ich habe sie gesehen, lieber Gott, kleine und größere Katzenkinder, die mutterseelenallein durch Dörfer und Wiesen streifen, verzweifelt auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf. Sie sind klapperdürr und ausgemergelt und können sich schon gar nicht mehr richtig auf den Beinen halten. Oft sind sie krank, von Flöhen, Ohrmilben und Zecken ausgesaugt, mit verschnupften Näschen und eitrigen Augen. Wenn der Tod kommt, ist es eine Erlösung für sie ….
Haben nicht auch wir Katzenkinder, wie alle Deine Geschöpfe, das Recht auf Leben? Wir haben uns unser Schicksal nicht ausgesucht … die Menschen haben uns als Haustiere gezähmt. Warum verstoßen sie uns jetzt und achten uns so gering, wenn wir doch nur etwas Futter, einen Unterschlupf, Geborgenheit, Wärme und Anschluss suchen?
Lieber Gott, was soll nur aus uns werden? Hast Du uns denn ganz vergessen?